
Gratulation an alle, die in diesem Sommer in Roth eine derartige Leistung erbracht haben. Die Ergebnisse sind wirklich bemerkenswert und werfen berechtigte Fragen auf, insbesondere in Bezug auf die verbesserten Leistungen von Magnus Ditlev und Daniela Ryf, wenn die Hintergründe der Sportwissenschaft wenig bekannt sind. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich in den letzten Jahren verschiedene Ansätze entwickelt haben, die zuerst getestet, dann verfeinert und nun perfekt umgesetzt wurden.
Auch in Lahti bei der Ironman 70.3 WM hat Taylor Knibb bei den Frauen mit 3:53:03 eine neue Weltbestzeit aufgestellt. Viele weitere Spitzenzeiten sind an dem Wochenende hinzu gekommen.
War 2015 beim Ironman 70.3 in Miami Andrew Starykowicz in 1:56:11 über die 90km noch mit einer Fabelzeit unterwegs, so fuhren in Lahti bei den Männern 15 Athleten unter 2:00h über die laut Strava ca. 89,8km und mehr als die Hälfte der PRO-Athleten lief den Halbmarathon unter 1:15:00.
Das selbe Bild zeigt sich bei den Frauen. Konnte im Vorjahr in St. George bei 10% mehr Höhenmetern nur eine Frau unter 2:20:00 fahren, so fuhren in diesem Jahr die TOP10 alle unter 2:15:00 und 7 Athletinnen konnten unter 1:20:00 am abschließenden Halbmarathon laufen.
Doch was steckt hinter diesen bemerkenswerten Fortschritten?
Unter der Haube hat in den letzten Jahren in manchen Bereichen ein richtiger Paradigmenwechsel stattgefunden. Zum Einen kann man jetzt manche Stoffwechselvorgänge deutlich einfacher bestimmen, wobei die Konzepte dahinter auch schon wieder 20 Jahre bekannt sind. Es ist wichtig zu verstehen, dass es oft Zeit braucht, bis theoretisches Wissen in die praktische Anwendung überführt werden kann. Dies war bei der Herzfrequenzüberwachung, der Leistungsmessung auf dem Fahrrad und beim Laufen der Fall. Ähnlich ist es auch hier: Neue Messwerte aus Tests stehen nun zur Verfügung und es hat einige Zeit gedauert, bis ihre Auswirkungen sichtbar wurden.
Die Sportgerätetechnik
Ja natürlich hatte sich die Technik stetig weiterentwickelt, sowohl im Laufen, als auch im Radfahren. Wir sehen Splitzeiten die nur so purzeln, diese Sprünge alleine auf die Technik herunter zu brechen wäre ein bisschen unfair, sowohl den Athlet:innen als auch der Sportwissenschaft gegenüber.
Wir können festhalten, dass die Aerodynamik, das sieht man schon allein an den Radpositionen der letzten Jahre, viel verändert hat. Laut Daten von Steve Gribble (Quellen) bringt eine Ersparnis von 10W bei Tempo 45km/h einen Zugewinn von ca. 0,4km/h. Zumindest als theoretischen Anhaltspunkt. Mit Keramik-Lagern, Schmiermitteln, individuell angepassten Cockpits und generell „aufgeräumten“ Fahrrädern verbesserte sich der CdA (ein Wert mit dem der Luftwiderstand dargestellt wird) stetig und somit natürlich auch die Geschwindigkeiten. Auch, und das sollte man unterstreichen, bei gleich bleibender Leistung. Mittlerweile sieht man bei den Top-Pros eigentlich kein Rad mehr ohne individuell angefertigtem Cockpit, meistens aus dem 3D-Drucker. Geht man davon aus, dass 2013 ein sehr guter CdA einen Wert im Bereich von 0,235 auswies, so ist mittlerweile davon auszugehen, dass die meisten Top-Pros bereits unter 0,200 liegen. Das ist immerhin ein Reduktion von 15% bei gleichzeitig sichtlich mehr Komfort, sodass auch noch schnelle Laufzeiten möglich werden.
Die Schuhtechnologie hat ebenfalls zu Leistungssteigerungen beigetragen. Die Einführung von Carbon-Laufschuhen hat zu schnelleren Laufzeiten geführt. Die genauen Prozentsätze sind dabei weniger wichtig als die Tatsache, dass die Zeiten insgesamt schneller geworden sind.
Bereit, Deine Ausdauer auf das nächste Level zu bringen?
Der Stoffwechsel
Mit der Entwicklung der Leistungsdiagnostik in den letzten Jahren, kann die Sportwissenschaft mittlerweile weitere Parameter, mit wenig Aufwand bestimmen. Während in den 2000er Jahren die Bestimmung der maximalen Laktatanstiegsgeschwindigkeit (VLamax) nur im Labor und für diverse Wissenschaftsartikel interessant war, ist sie jetzt in vielen Ausdauersportarten zum Standard geworden.
Was sagt diese VLamax aus?
Im Wesentlichen wie viel Leistung, das heißt eine Flussrate pro Zeiteinheit, über den Kohlenhydratstoffwechsel maximal produziert werden kann. Senkt man diese Maximalleistung über bestimmte Trainingsformen, so erhöht sich die Dauerleistung. Der Stoffwechsel ist dann für Leistungsspitzen nicht mehr entsprechend ausgerichtet. Diese Eigenschaft wurde sozusagen wegtrainiert.
Hat man für längere Distanzen noch vor einigen Jahrzehnten von sogenannten Zubringerleistungen gesprochen, d.h. wenn man Geschwindigkeiten auf Unterdistanzen (z.B. auf 5000m für den Marathon) erhöht, dann erreicht man auch auf längeren Strecken höhere Geschwindigkeiten. Heute, mit neuen Formen der Diagnostik, geht der Weg dahin, die Ökonomie zu maximieren. Das erreicht man indem in bestimmten Trainingsphasen die Leistungen oberhalb der Schwelle, ob die jetzt MLSS, anaerobe Schwelle oder FTP heisst, ist nicht relevant, minimiert wird.
Mit der Ökonomie ist es wie bei einem Auto. Verringert sich der Spritverbrauch, kann das Auto mit der selben Tankmenge weiter fahren, oder für die Zielstrecke, das Durchschnittstempo erhöhen. Das sieht man im Moment auf der Langstrecke im Triathlon und gilt für alle drei Sportarten.
Die Ernährung/Verdauung
Jetzt kommt ein wichtiger Punkt. Quasi ein GameChanger, der eine Zeit lang etwas unterm Radar war, weil es anscheinend zu simpel ist. Noch vor 20 Jahren, in meinem Studium, gab es Hinweise, dass mehr als 120-240kcal pro Stunde nicht verdaubar sind. Das entspricht ca. 30-60g Kohlenhydrate. Dann kamen Ansätze hinzu um die Durchsatzraten im Darm zu erhöhen, indem unterschiedliche Formen von Kohlenhydraten miteinander kombiniert wurden. Da aber Training und Wettkampf nicht immer zu vergleichen sind, ging so mancher Versuch buchstäblich in die Hose. Werden Kohlenhydrate zu hoch dosiert, führt es, wie die Wissenschaft es formuliert, zu gastrointestinalen Stress. Ein weniger praktikabler ausgedrückt, der Inhalt verlässt den Darm noch vor der Ziellinie oder im Training bevor man wieder zu Hause angekommen ist. Ein Szenario, dass ich, durch Erfahrungswerte gestützt, niemanden wünsche.
Der nächste Ansatz kam wieder aus der wirtschaftlichen Ecke, also ein Claim eines Herstellers. Formen von Kohlenhydraten wurden kombiniert und zu einem Alginat verarbeitet. Alles um die Aufnahme im Darm zu erhöhen, ohne das System zusätzlich zu belasten.
Auch andere Hersteller haben nicht geschlafen, haben viel probiert und es wurde auch viel „trainiert“. Mit Versuchen zu low-carb im Training und Problemen mit Kohlenhydraten im Wettkampf, wurde es zur Gewissheit, dass der Darm an Kohlenhydrate gewöhnt werden kann.
Wenn man den Darm schon mal an Kohlenhydrate gewöhnt hat, verträgt er ja dann noch mehr Kohlenhydrate in g/h?. Die Erkenntnis kam auf, dass der Darm ebenfalls trainierbar ist. Mittlerweile sprechen wir nicht mehr von den 30-56 g/h und auch nicht mehr von den angeblich wahnsinnigen 90g/h, die nur mit Produkt XY möglich sind, sondern nach den Protokollen einiger Profis sprechen, wir von 130-150 g/h am Fahrrad und noch immer 80-100 g/h beim Laufen.
90g/h Kohlenhydrate ist so etwas wie der neue Mindeststandard.

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Hitzetraining
Welchen Einflussfaktor Hitzetraining und die Daten von Sensoren wie Core zum Wärmemanagement beigetragen haben, kann ich noch nicht sagen, weil die Erkenntnisse auf Zahlenbasis aus diesem Bereich mir nur in einem kleinen Teil zugänglich sind. Ich selbst habe mich in den letzten Jahren mehr mit der Kühlung z.B. durch Kühlwesten beschäftigt, als mit dem Hitzetraining. Es ist aber nur eine Frage der Zeit bis hier Ableitungen und Empfehlungen zur Verfügung stehen.
Zusammenfassung
Neben der Technik hat auch die Sportwissenschaft, in den Bereichen der Ökonomie und Wettkampfernährung einige Sprünge gemacht. Die Tankgröße für den Sprit hat sich zwar nicht wesentlich vergrößert, aber wie man diesen ein paar Tage vor dem Start noch extra befüllen kann. Das hat schon Bengt Saltin in den Achtzigern herausgefunden, mit dem sogenannten Carboloading. Aus dieser Erkenntnis haben sich die berühmten Nudel- und Kaiserschmarren-Parties entwickelt.
Die „neue“ Diagnostik kann den Verbrauch an Kohlenhydraten in g/h bestimmen. Wenn man diesen messen kann, dann können auch Trainingsmethoden überprüft werden, wie man ihn ändert. Kann der Verbrauch gesenkt werden, dann kann umgekehrt auch das Tempo erhöht werden.
Lassen wir einmal Zahlen sprechen: Damit man eine genauere Vorstellung davon hat, schauen wir uns die Daten für eine Triathlon Langdistanz, also in dem Fall 180km Radfahren, an.
Nimmt man dann genaue Daten an wie z.B. ein männlicher Athlet mit einer VO2max von 65ml/kg/Min, einer VLamax von 0,5 mmol/s und einer CdA von 0,24m2. Werte die man im Age-Group durchaus häufiger finden kann. Gehen wir weiters davon aus, dass die Geschwindigkeit so gewählt wird, dass noch ein solider Laufsplit möglich ist und der Glycogenspeicher noch nicht komplett entleert ist. Vor 10 Jahren hätte dieser Athlet die Empfehlung gehört, er solle ca. 1-2 Gels pro Stunde, also ca. 40g Kohlenhydrate am Rad zu sich nehmen. Das würde auf den meisten Wettkampfstrecken eine Zeit von knapp über 6h bedeuten. Schafft es der Athlet aber 100g/h ohne Darmprobleme zuzuführen, so sind laut Berechnung Zeiten im Bereich von 5:15h, bei theoretisch gleicher Voraussetzung für das Laufen, zu erwarten.

Natürlich lässt sich dieser Zeitensprung nicht linear für die Geschwindigkeiten der Profis fortsetzen, aber es erklärt auch hier, warum sich die Zeiten in den letzten Jahren so entwickelt haben.
Beim Schwimmen gab es weniger Veränderungen, sowohl von der Entwicklung der Materialtechnik, als auch für die Verpflegung währenddessen. Zumal die Dauer noch nicht in dem Zeitbereich ist, wo die Verpflegung eine große Rolle spielt.
In den sozialen Medien habe ich schon vernommen, dass diese Weltbestzeiten aus Roth gar nicht stimmen können, weil die Distanzen um ein paar 100m zu kurz sind, oder auch nicht. Rechnet man sich aber die Durchschnittsgeschwindigkeit aus und rechnet sie dann auf die 180km oder 42,2km hoch, war das noch immer ein außergewöhnlicher Performance-Sprung, der sich mit einigen Fakten aus der Sportwissenschaft durchaus erklären lässt.
Ich fand es beeindruckend, welche Leistungen gezeigt wurden und der Landkreis Roth hat wieder mal bewiesen, dass man Fans an der Strecke als Agentur einfach nicht erfinden oder produzieren kann. Veranstaltungen leben einfach von den Menschen, die sie mittragen.
Freuen wir uns darauf, was noch kommt, ich bin sicher, die Sportwissenschaft, als auch die Athlet:innen werden in den nächsten Jahren wieder etwas aus dem Hut zaubern.